2005
 
24. Juni
 
In den Alpen kamen mir wegen des Sauerstoffmangels die Proben zu Schemjakins „Zaubernuss“ im Mariinskij-Theater in den Sinn. Ich sehe in die Notizen. Erster Akt. Die ersten drei Minuten. Ouvertüre. 0.30. 0.48. Vorhang. 0.50. Die Geburt. 1.30 Krysselier. 1.48. Von der Nuss weg. 2.03 Rundgang um die Nuss. 2.22 Anheben der Nuss. 2.38 Abgang Krysseliers. 2.44 Die Nuss wird weggetragen. Und so weiter bis Takt 15. 2.45 Ich erwecke die Königin, den König und die Mäuse zum Leben, nehme den Löffel, übergebe den Löffel, gehe mit ihr (mit ihnen?) in die Ecke, rufe die Kater. Tanz der Kater. Nach dem dritten „Dzin - Dzin“ tauche ich ins Unterwasserreich ab. Keller des Neffen. Er traut sich nicht. Drückt sich hinter meinem Rücken vorbei. Ich werfe ihm eine Nuss zu. Er jongliert. Ich werfe die zweite. Er wirft sie zurück nach einer männlichen Kulissenfigur. Ich versuche ihm die dritte zu geben. 4.12 Er nimmt sie nicht. Er hat es vergessen. Ich werfe mit der Nuss nach einer weiblichen Kulissenfigur... Die Zaubernuss.
Anton. Selbstportrait Inhalt des Schminktisches
Der Rücken von Figa nach dem Stück ONCE Nosferatu als Buda, oder Buda als Nosferatu
DEREVO. ZONE Portrait von Shtyck im Wineglas
 
9. Juni
 

In Lörrach gibt es viele Springbrunnen. Man sieht sie auf den ersten Blick. In den Geschäften, den Eingangshallen der Theater und Hotels. Es gibt auffällig viele Springbrunnen. Erst gab es nur Anzeichen: In einem Haushaltwarengeschäft drängten sich die Punks vor den Regalen mit Körperpflegeprodukten. Dann sah ich eine Gruppe von Punks in der Schalterhalle einer Bank, nicht an einem Kassenschalter, sondern am Springbrunnen in der Mitte des Raumes. Dann die morgendliche Gruppe von Bürgern am Springbrunnen auf dem Markt, die schweigend das Einschalten der Fontäne erwarteten. Sie sahen dem Wasserstrahl fünf Minuten lang wortlos zu und gingen mürrisch auseinander. Dann ein strenges Verbotsschild an einem anderen Brunnen: „...werden bestraft...“ und „...Fische sind auch Menschen...“ (in manchen Brunnen leben Fische).

Schließlich kommt eines Morgens ein Mann ins Cafe gerannt und teilt dem Barkeeper und zugleich allen etwas mit. Alle springen auf und wir laufen hinterher. Ein merkwürdiger Anblick: über dem Brunnen wächst der Schaum immer höher und höher. Die Kinder jauchzen, die Erwachsenen schimpfen auf die Punks, aber die Empörung wirkt nicht überzeugend. Man sieht, dass sie sich nicht wirklich ärgern. Der Schaum erreicht die Höhe der Fontäne. Es ist ein unbeschreibliches Fest. Die Polizei kommt und der Brunnen wird abgestellt. Dann rückt ein Spezialfahrzeug an und pumpt das Wasser ab

Es stellt sich heraus, dass die Punks nachts Schaumbad in die Springbrunnen gießen. Das ist eine alte Geschichte. Es hat damit angefangen, dass im 13. Jahrhundert ein Mitglied des deutschen Königshauses den Bürgermeister von Basel, das ganz in der Nähe liegt, erstach. Aus dem massigen Leib des Bürgermeisters sprudelte das Blut wie aus einem Springbrunnen. Der getroffene Mörder tat Buße und erbaute die Stadt Lörrach, deren wichtigstes Wahrzeichen ein Springbrunnen ist. Die Punks kommen aus der Schweiz, aus Basel, und waschen das alte Blut mit Seife ab.

Springbrunnen in Macao Tanja Chabarowa in Lörrach
Anton Adassinskij in Lörrach Springbrunnen in Lörrach
Schminkraum. Lörrach Anton. Fingers.
Tagesschaum... Anton sieht sich Lörrach an
 

Text: Anton Adassinskij
Bilder: Elena Jarowaja

Übersetzung: Rainer Jäckel

ALS GESTERN HEUTE WAR (Archiv)
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