2005
 
15. Januar
 

Ein Anruf. Ich hörte zu, nickte, seufzte tief  und legte mich schlafen.

Ein Traum:

Auf der Bühne ein Narr. Vielleicht der Pierrot, vielleicht ein Gaukler vom Jahrmarkt... Er hat eine Marionette. Eine ganz vertrackte. An 32 Fäden. Sie tanzt etwas Belangloses. Dann wird er böse auf die Puppe, zerrt sie garstig herum, verdreht ihr den Arm, reißt die Fäden ab. Misshandelt sie, gibt ihr den Rest. Er wirft sie weg und verlässt die Bühne mit einem widerlichen Grinsen. Niemand klatscht. Sie hassen ihn. Wie jedes Talent. Und man sieht, dass er mehr ist als bloß ein Talent...

Er ist schon fast weg, da reißt es ihn plötzlich an der Schulter. Jäh und entsetzlich nach oben. Kaum hat er den Kopf gehoben, reißt es ihm die Beine weg. Und eine Kraft (er kennt sie wohl) reißt ihn in Stücke, nimmt ihn in die Mangel und presst das Leben aus ihm heraus wie Wasser aus dem Schneeball eines Kindes...

Auf der Bühne liegen zwei Häuflein. Die zerborstene Puppe und der zerborstene Mensch.

Die Nummer dauert 4 Minuten.

So kann sich niemand bewegen. Menschen können es nicht. Übermenschen können es. Beifall ist nicht nötig. Geht nach Hause. Aber geht mit Bedacht. Die Fäden hat bisher noch niemand abgeschafft.

Manchmal kommt es einem so vor, als hätte jemand daran geruckt. Vergeltung? Oder gibt es auch für diese Kraft etwas, das auf sie lauert?

Nikolai Nikitin ist tot. Der Mime, der Lehrer, der Augenzeuge, der GOTTESNARR.

Er hat ausgelitten.

Wir haben uns erlaubt, ihm in dem Stücks „La Divina Commedia“ die Szena „Das Kreuz“ zu widmen. Er ist nicht in die Vorstellung gekommen. Er hat 9 Kinder geschickt. Schweigsam, rauchend, zum Lachen aufgelegt.

Die Zwei
Eine Marionette von Eduard Bersudsky. Foto: Tatjana Jakovaskaya
Nikolai Nikitin
Nikolai Nikitin
 

Text: Anton Adassinskij und DEREVO

Übersetzung: Rainer Jäckel
Foto wurden freundlicherweise von Maxim Jakubson zur Verfügung gestellt.
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