AKTUELL - 08.10.2011 - Homo ludens

08. 10. 2011
englishрусский

Venice

Einen Tag vor der Zeremonie der Preisverleihung gaben Johannes Zeiler (Faust) und ich je 32 Interviews. Sokurow sogar noch mehr.

Jedes Interview begann mit dem Satz: „Was empfinden Sie nach der Entgegennahme des Goldenen Löwen?“

Beim ersten Interview zuckte ich zusammen. Was, haben wir ihn etwa schon?

- Nein, sagte der Reporter, aber wenn Sie ihn erhalten, dann fügen wir das ein, wenn nicht, schneiden wir es heraus. Wir wollen Sie doch nicht zweimal interviewen.

Also schilderte ich in den herrlichsten Farben, was für eine Freude das für uns sei. Zum Glück wusste noch niemand, wem der Preis überreicht werden würde.

Nach dem fünften Interview war ich es leid, ein und dasselbe zu wiederholen. Ich kam ins Stocken, wurde ärgerlich, ich warf den Reportern vor, dass sie ihr Handwerk nicht verstehen, und der Stadt Venedig die Hitze, - kurz gesagt, ich war müde. In der Mittagspause ging ich in mein Hotelzimmer und holte den Recorder, weil ich das Gefühl hatte, dass ich etwas sagen könnte, woran ich mich später nicht mehr erinnern würde…

 

 

Hier sind Auszüge aus den Interviews nach der Mittagspause.

Für das koreanische Fernsehen:

Sagen Sie, was war das Schwierigste während der Dreharbeiten?

Am allerschwierigsten war es, dem Regisseur 47 Tage lang in den Rücken zu starren, weil Sokurow für die Aufnahmen nicht nur einen riesigen Spiegel benutzte, sondern, um das Bild selbst richtig sehen zu können, einen Autorückspiegel auf der Schulter trug. Deshalb stand ich während der Regieabsprachen hinter Sokurow und unterhielt mich mit seiner Schulter. Das ist mir in Fleisch und Blut übergegangen, und als ich ihm in Venedig begegnet bin, habe ich ihn glatt nicht wiedererkannt.

Für eine Zeitung aus Weißrussland:

Sagen Sie, Anton, es gibt doch bei Filmaufnahmen immer Episoden, die nicht in die endgültige Fassung eingehen. Gab es solche Episoden auch im „Faust“?
Ja, selbstverständlich! Am Anfang des Films, in den ersten Sekunden, kommt Faust zu Tode. Sicher werden Sie über diesen kühnen Regieeinfall staunen. Faust wird im Spital unter einem Gestell mit einer Leiche begraben, die er soeben seziert hatte, um den Sitz der Seele zu finden. Sein Famulus Wagner versucht ihn herauszuziehen. Er holt eine unbestimmte Masse hervor, die keine Ähnlichkeit mehr mit Faust besitzt, etwas Aufgequollenes und Unappetitliches. Dabei handelt es sich jedoch um Faust, der mit dem Tod eins geworden ist. Eben das ist meine Figur, der Mephistopheles. Faust lebt in meinem Innern fort. Beim finalen Schnitt ist diese ganze Passage von 15 Minuten weggelassen worden. „Das ist auch so klar, meinte Sokurow, wozu sollen wir das durchkauen?..“ Am Anfang des Films stirbt Faust also nicht, aber ich behalte den geschwollenen Bauch.

Für eine japanische Zeitung:

Anton, können Sie uns sagen, was während der Dreharbeiten am gefährlichsten war?

Am gefährlichsten war die Kunst des Rückwärtsgehens. Besonders über die Lava in Island. Da der gesamte Film rückwärts gedreht wurde, vollführten die Darsteller alle physischen Handlungen in umgekehrter Reihenfolge (der Filmstreifen in der Kamera wurde dabei rückwärts gespult), um auf der Leinwand eine ungewohnte Form der Bewegung zu erschaffen. Deswegen ist ein längerer Abschnitt — die „Unterwasserschlacht“ um Margarethe — nicht in den Film eingegangen. Wir haben nicht gelernt rückwärts zu schwimmen, und Sokurow wollte keinen Kompromiss eingehen.

Ich weiß nicht mehr für wen:

Das Seltsamste war ein Tal in Island, wo wir im Boden in der Umgebung eines Geysirs hunderte Abdrücke menschlicher Gesichter sahen, so als hätte jemand das Gesicht mit Gewalt in den Boden gedrückt. An der Stelle des Mundes waren überall tiefe Löcher. Es stellte sich heraus, dass dies das berühmte Tal des Schnüffelns war. Jeden Sonntag legen sich hunderte Menschen mit dem Gesicht nach unten hin, um die heilkräftigen Schwefeldämpfe zu inhalieren. Das Aufnahmeteam legte sich ebenfalls nieder, jedoch, da sie es nicht gewohnt waren, begann der Chefkamera-mann bald zu haluzinieren. Er schlug vor, den Geysir rot zu färben. „Das würde zu Tarantino passen“, meinte Sokurow.

Für das italienische RAI Uno:

Die Friesischen Pferde, auf denen wir ins Inferno galoppieren, sind sehr teuer und selten. Sie sind auch dafür bekannt, dass sie Wörter nachsprechen können, in denen mehrere „G“ und „R“ vorkommen. Eines davon (es war meines) sagte — dank seinem tschechischen Pferdepfleger, einem Puschkin-Verehrer — vernehmlich „Grom gremit…“ und „Redkij dar…“

Für das griechische Fernsehen:

Anton, was war für Sie das Lustigste, woran Sie sich erinnern?

Es gab viel zu Lachen. In einer Drehpause bin ich in den Wald gegangen. Ich wollte mich entspannen. Ich ging ohne ein bestimmtes Ziel spazieren und fand zufällig eine riesige Pilzstelle. Lauter Steinpilze und Birkenpilze. Ich hatte keinen Korb dabei, stopfte mir die Taschen voll, zum Glück war das Kostüm weit geschnitten. Als ich genug Pilze hatte, wurde mir klar, dass ich vom Weg abgekommen war. Ich fürchtete, dass ich die Dreharbeiten aufhalten würde. Ich fing an laut zu rufen, auf Russisch und auf Italienisch… Eine tschechische Pilzsucherfamilie tauchte auf und rannte gleich wieder weg. Ich hatte vergessen, was für eine Maske ich hatte. Eine Viertelstunde später erschienen drei Polizisten. Ich erklärte auf Tschechisch, dass ein Film gedreht wird, und wies zielsicher in irgendeine Richtung. Dorthin brachen wir auf. Zwanzig Minuten später kehrten wir wieder um, wobei ich die Richtung angab, und wir verliefen uns endgültig. Der eine zog die Pistole, der andere forderte einen Hubschrauber an. Es dauerte eine Weile, bis der Hubschrauber eintraf. Es dämmerte bereits. Landen konnte er nicht, aber er flog vor uns her. Als wir voller Zecken und Ärger am Drehort anlangten, hatten mir die Polizisten nichts vorzuwerfen. Und ich war auch nicht verstimmt. Dem klugen Sokurow fiel nichts Besseres ein als mich zu fragen:
Wo haben Sie sie gefunden?
Im Wald, gab ich zur Antwort, weil ich an die Pilze dachte, da gibt es jede Menge.

Und am 10. September spielten wir wie nach Noten das Stück „Limousine. Teppich. Foto. Goldener Löwe. Foto. Limousine. Viel Whisky. Nacht. Venedig. Morgen. Heimreise“.

Der Rausch dieser Tage ist ziemlich schnell verflogen. Was bleibt ist der „Faust“. Und die für ein Festival ungewöhnlich lange anhaltenden Ovationen für den Regisseur Sokurow.

 

Text: Anton Adassinsky
Übersetzung: Rainer Jäckel
Video: Elena Iarovaia

 

Tags:   | | | |

You must be logged in to post a comment.

  1. Krutej Krtek Says:

    Чудесный видеоклип, и тексты тоже!
    Кстати, недавно в чешской печати прогремел скандал. Всплыло наружу, что блюстители порядка, не спросив разрешения у своего начальства, в массовом порядке снимались с дежурства и вместо этого подрабатывали на киносъёмках в качестве статистов. Конечно, это безобразие, но с другой стороны в этом есть своя логика.
    Полицейский - идеальный статист: стрижка у него всегда форменная, да и выправка что надо.
    Наденьте на него любую униформу, и будет из него хоть бравый вояка, хоть мордастый оккупант.

    В свете этих событий вопрос Сокурова кажется даже очень резонным.

    Grausige Maulwurfsgrüße!

  2. будущий кинозритель Says:

    Антон! Поздравляю! Вы юмористическая умница!

  3. Наташа Says:

    А во сколько по времени концерт АВИА?

  4. Наталья Says:

    Здорово! Смешно! Замечательно! Ура!

  5. Света Says:

    Ваш воздушный спектакль МЕФИСТО ВАЛЬС,
    кружит над странами и городами и сердца Любовью окрыляет!!!