AKTUELL – 17.12.2014 – Krieg

17. 12. 2014
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Während der Proben zu „Aerokraft“ nach der Musik von Nikolaj Gussew denke ich nach über den Krieg.
Zu acht Szenen aus diesem Stück habe ich Texte verfasst.
Nach dem erneuten Lesen kam ich zu dem Entschluss, dass die Texte auch ohne das Bühnenstück von Interesse sind.
Anton Adassinsky

 

Foto - Chester Mueller

 

1
Ich liebe dich, Krieg
Wie viel Mut und Licht trägst du in dir
Wie akkurat setzt du das Tüpfelchen aufs „i“
Wie zweifelsfrei trennst du die Schlechten von den Guten
Du zeichnest klare Grenzen und entscheidest über die Geschicke von Ländern
Weckst so viel Leidenschaft und Aufschrei in den Herzen
Du sorgst dich helfend um die Frauen, die auf ihre Männer warten
Wie viel Hoffnung auf ein wunderbares Morgen keimt aus jedem Schuss und jeder Explosion
Du schenkst den Völkern Helden ohne Zahl
Mit dir will ich bis an das Ende gehen, Krieg

2
Ich hasse dich, Krieg
Du bist das Einzige, woran die Menschen sich erinnern
Du bist der Ausgangspunkt des Zählens
Was vor dir war, was nach dir ist, es ist bedeutungslos
Du bist, worauf es ankommt
Ich hasse dich, du setzt dich fest in meinem Hirn mit Namen und Daten
Zeitungen, Wunden und Elend
Ich werde im Leben nicht glücklich sein, weil du stets vor der Tür stehst und zum Leiden zwingst
Ich habe nur ein Leben, und doch ist in diesem Leben mindestens ein Krieg
Ich hasse dich, oh Krieg, ich ersehne deinen Tod

3
Mein Gott, wie listig du bist, oh Krieg
Ich werde wohl niemals begreifen, wonach dich gelüstet
Wie viele Menschen musst du noch holen
Wie viele Worte sprichst du zu deiner Rechtfertigung, wie selbstverständlich und markig sie klingen
Nach jedem Tod . tausende Lettern und Argumente, nach jedem Tropfen Blutes seitenweise Geschwätz und Lügen von Führern
Du bist erfahren, Krieg
Du überlebst uns alle, du wirst dich nur anders nennen, und weiter geht ’s
Du bist schlau und geschwätzig, Krieg
Liegst auf der faulen Haut und trinkst Likör, wo gelogen wird und entschieden
Und weit weg in den Feldern spielen Jungen in viel zu großen Uniformen Schiebepuzzle mit deinem Freund, dem Tod

4
Ich danke dir, Krieg
Du hast mir geholfen meine Probleme zu lösen
Hast mich überredet mich zu entscheiden und meinen Weg zu ändern
Du hast mein Leid fortgenommen, du hast meine Tränen getrocknet
nun muss ich mich nicht mehr quälen und nicht mehr altern
Ich bin dir dankbar, oh Krieg,
du hast mir das Leben genommen

5
Ich bin wie du, oh Krieg
Bin voller Zweifel und voll Hass
Ich muss mit dem Säbel rasseln und lasse die Muskeln spielen
Ich muss meine Lügen rechtfertigen und die Gewalt
Ich muss diplomatisch sein und voller Ränke
Auch ich werde müde und brauche Erholung und Schlaf
Auch ich halte Untätigkeit nicht lange aus
Auch ich nähre mich von Blut und von üblen Gerüchten
Und ich vergesse, wofür ich mich schlage

6
Ich bin dein Vater, oh Krieg
Du bist mein Sohn, oh Krieg
Ich bin ein Mensch, ich erzeugte dich, ich nannte dich Krieg, ich
Ich, der Mensch
Ich bin ’s, der Kriege führt
Ich bin ’s, der erschlägt und verschont
Der Kommandeure wählt und Soldaten
Ich bestimme das Ziel und den Auftrag
Kriege führen wir Menschen, und du bist der Laut auf den Lippen
Ich bin dein Vater, oh Krieg, und ich will, so wie alle Väter, dass du der beste seist
Werde groß, mein Krieg
Deine Schulter wird meine Stütze im Alter sein

7
Ohne dich kann ich nicht sein, mein Krieg
Verzeih mir, Krieg,
Dass ich deine Schönheit nicht würdige und deine Erhabenheit
Wie bist du so kalt und verletzlich
Unnahbar und ersehnt
In unseren Liedern und Büchern blüht deine Romantik
Das allein wird überdauern
Wo der Tod majestätisch ist und gerecht
Wo das Gute stets über das Böse siegt
Aber nicht für ewig, versteht sich
Es kommt wieder, das Böse
Denn die Schwerter dürfen nicht rosten
Und man möchte der Beste sein, um eines deiner Glieder zu werden, oh Krieg
Verzeih, dass ich dich nicht täglich lobpreise, oh Krieg
Denn nur du entreißt mich dem öden Dahinvegetieren
gibst mir Richtung und Ziel
Lässt mich glauben, dass Töten erlaubt ist
Endlich! Deswegen wirst du gebraucht, oh Krieg
Dass der Mensch sich den Traum erfülle: zu töten den Anderen

8
Mit welchen Worten soll ich dir, Krieg, zu verstehen geben, wie dankbar wir dir sind, dir, dem Krieg!!
Du hast uns Arbeit gegeben, Krieg!
Wir nähen Knöpfe an, gießen Kugeln
Wir zeichnen Karten und brennen Schnaps für deine Soldaten
Wir streichen mit Kakifarben
Panzer und Flugzeuge an
Stiefel und Kameras
Zielvorrichtungen und Kondome
Unterhemden und -hosen für Herbst und Sommer, für die Nacht und zum Tauchen
drucken Presseberichte
Viel, viel Arbeit
Millionen von uns sind dir dankbar für Brot und Geld, die sie heimbringen
Danke! Unsere Kinder werden nicht hungern
Du gibst allen zu tun
Darum höre nicht auf, Krieg
Denn sonst bleiben wir ohne Arbeit
Wovon sollten wir schreiben und reden, wenn es dich, Krieg, nicht gäbe
Wofür sollten wir beten, Stücke inszenieren und Lieder dichten?

Alles verliert seinen Sinn ohne dich, oh Krieg!

9
Ich vergesse dich, Krieg
Ich weiß nicht mehr, ob es das gab
ob das Sterben mir nah war
Ich sehe nun Anderes
Wie die Wolken ziehen und das Leben hüpfend vorbeirollt
Wie die Kinder aufwachsen. Die den Krieg nicht erleben werden
Weil ich mit dir Freundschaft hielt, Krieg, weil du der letzte warst
Du warst alt, mein Krieg, lebtest von dem Gedenken an große Schlachten
Du verstehst dich nicht auf hinterhältige Kriegführung
Mittels Lügen, Gold und Erdöl

Bist gebrechlich geworden, mein Krieg
Wir hatten Spaß zusammen, alter Opa Krieg
Ich wollte dir ein Bein stellen, sehen, wie du verreckst
Wollte den letzten Mord in der Welt begehen
Ich wollte dich töten, Krieg

10
Ich danke dir, Krieg
Du hast mir geholfen meine Probleme zu lösen
Hast mich überredet mich zu entscheiden und meinen Weg zu ändern
Du hast mein Leid fortgenommen, du hast meine Tränen getrocknet
nun muss ich mich nicht mehr quälen und nicht mehr altern
Ich bin dir dankbar, oh Krieg,
du hast mir das Leben genommen

11
Du bist schmutzig, Krieg
Du machst hinter dir nicht sauber, Krieg
Du lässt Unrat zurück und Essensreste
Verdreckte Erinnerungen in den Köpfen
Abgegriffene Fotos
Ruinen und alte Bomben
Du machst hinter dir nicht sauber, Krieg, in unseren Köpfen
Bleiben Schreie und Trennungen
Briefe und Rauch
Du willst, dass wir alles noch wissen
Überall hinterlässt du Erinnerungen
Kehre hinter dir auf, Krieg, in den Straßen und Städten
Wasche die Flüsse
Verbrenne die Knochen und überflute die Friedhöfe
Gib den Verstümmelten Arme und Beine zurück
Setzte die Augen ein
Und mach, dass wir dich vergessen
Denn du bist ein Zauberer, Krieg
Mache, dass jeder, der deinen Namen ausspricht, oh Krieg
Seine Hände vor sein Gesicht schlägt und so bleiben muss bis zum Tode

12*
Wo bist du, Kraft
Die alles wegspült vom Gesicht der Erde
Feigheit und Lüge
Raub und Mord
Wo bist du, Kraft
Beeile dich
Sonst wird es zu spät sein
Denn wir sind schlau und kennen keine Gnade
Uns wird die Welt zu eng
Spül alle Menschen fort
Es ist keine Zeit mehr zwischen Gut und Böse zu trennen
Mag Stille sein und Reinheit
Wie im Anbeginn der Zeit
Vielleicht das nächste Mal…

* Aus dem Film «Süd. Grenze» (DEREVO, 2001)

 

Photo - Elena YarovayaMexico. Photo - Roman DubinnikovAEROKRAFT - Promo - Photo Carola FritzscheFoto - Elena YarovayaAEROKRAFT - Kollage Elena Yarovaya

 

Text: Anton Adassinsky
Übersetzung: Rainer Jäckel
Foto: Chester Mueller, Roman Dubinnikov, Elena Yarovaya, Carola Fritzsche

 

DEREVOs Dezember im Festspielhaus Hellerau, Dresden

AEROKRAFT. Premiere!!!

Sa. 20. / So. 21. Dezember 2014, 21 Uhr
Weitere Infos und Karten: http://hellerau.org/aerokraft

SNOW FLAKES III

Do. 25. Dezember 2014, 20 Uhr
Die jungen TänzerInnen und Studierenden von DEREVO stellen ihre Improvisationen vor
Weitere Infos und Karten: http://hellerau.org/schneeflocken-iii

ONCE…

Fr. 26., Sa. 27., So. 28. Dezember 2014, 20 Uhr
Weitere Infos und Karten: http://hellerau.org/once

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  1. Дария Says:

    Благодарю.

  2. Tari Says:

    “Есть люди, которые нашли мир, но голоса их звучат тихо” (Дерево-манифест).

    Без войны творчество станет каждым вдохом, и сцена будет нужна реже и лишь для того, чтобы выразить тишину.

    Сейчастье в сейчас и нигде больше.

    А “Сила” каждый день смывает нас, просто мы все еще позволяем себе забывать об этом иногда.. )