DEREVO e-life

AKTUELL - 06.08.2016 - Das Wunder einfangen

06. 08. 2016, 21:58 | by DEREVO
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Ich habe mit den Proben zu „Wolfshund-Jahrhundert“ im Gogol-Zentrum angefangen.
Das Projekt ist Ossip Mandelstam gewidmet.
Chulpan Khamatova ist die Seele, ich bin das Chitin des Dichters. Mit dabei sind acht tolle Burschen aus der Truppe von Kirill Serebrennikov. Wir haben bereits in „Wer hat in Russland ein schönes Leben“ zusammengearbeitet.

Ich habe die ersten Probeaufnahmen zu meinem Soloprojekt „Das wohltemperierte Klavier“ gemacht. Meine Kenntnis der Über-Marionette kann ich hier in vollem Umfang anwenden. Lena Yarovaya hat 12 Solovorstellungen auf dem Mittelalter Kultur Festival in Dresden gespielt.

Wir fahren nach Edinburgh! Wozu? Ich weiß es nicht. Nein. Ich weiß es.
Dort, in Edinburgh, sind wir zu Hause; in den Straßen ist jeder Zweite ein Künstler, und die Barkeeper verstehen nicht weniger von Kunst als die Profis vom „Scotsman“ und vom „Herald“.
Warum wir diesmal „Once“ spielen? Die Frage ist nicht leicht zu beantworten.

Seit vier Jahren suchen wir nach etwas Fröhlichem für die Kinder – eine Aufgabe, die immer schwieriger wird. Die ernste, von Sorgen erfüllte Welt hat Kindern nicht viel zu bieten. So sind die Zeiten. Mit Trickfilmen aus den 50er und 60er Jahren kommt man auch nicht sehr weit. Ich will die Kinder ins Theater mitnehmen, in ein Märchen. Ein schönes und reiches…
Und noch mehr Lust habe ich SELBST auf einen guten Film. Aber da muss man lange suchen.

Vielleicht ist „gut“ nicht das richtige Wort. Na ja… Zumindest ohne Moralin. Kinder sind klüger als Erwachsene: Trinken ist nicht gut, Insekten sind Außerirdische, und die Galapogos-Schildkröte hat sich geopfert, um die Evolution zum Stillstand zu bringen…

Von der ersten Zeile, von der ersten Einstellung, vom ersten Ton an fühle ich, dass ein Stück von meinem Leben gleich aufgefressen wird… Oder… auf einmal fängt das Herz an zu schlagen, die Finger sprühen Funken, und eine fremde Seele legt sich wie eine Sauerstoffmaske über das Gesicht. Denn ich ahne, wie auch alle anderen, dass irgendwann alles gut wird. Und ich muss daran glauben, dass ich in diesen verborgenen Träumen nicht allein bin.

“Once” ist etwas, das für immer bleibt. Wie Robinson Crusoe, Gagarin, die Watte unter dem Tannenbaum, das Rattern der alten Straßenbahn, das Klopfen der Dominosteine im Hof…

Ein Lichtstrahl löst sich von meiner Brust, verwandelt sich in den Mond und steigt auf zu den Sternen, und dann fällt auf ihn ein Schatten! Das bin ich, ganz klein, wie ich auf einem Spielzeugkometen den Pfad des Mondes kreuze!
Und das könnte ich mir ewig ansehen.
Den ganzen August, jeden einzelnen Tag, werden wir das Wunder bei den Ohren packen.

Anton

Text: Anton Adassinsky
Übersetzung: Rainer Jäckel
Video: Andrey Gladkikh
Fotos: Makhina Dzhuraeva, Elena Imamova, Igor Fomin

 

well tempered clavier - photo proofs. Photo - Makhina DzhuraevaONCE... Edinburg Fringe 2016 - Fire Alarm. Photo - Igor Fominwell tempered clavier - photo proofs. Photo - Makhina Dzhuraevawell tempered clavier - photo proofs. Photo - Makhina Dzhuraeva
ONCE... Edinburg Fringe 2016 - Fire Alarm - Photo Elena Imamovawell tempered clavier - photo proofs. Photo - Makhina Dzhuraevawell tempered clavier - photo proofs. Photo - Makhina Dzhuraevawell tempered clavier - photo proofs. Photo - Makhina Dzhuraeva
ONCE... Edinburg Fringe 2016 - Fire Alarm. Photo - Igor Fomin

 

DEREVOs Vorstellungen

4.-29. Aug. 2016 (außer am 15. und 22. Aug.)
Edinburgh Festival Fringe

ONCE…

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22.-28. September 2016
ERARTA Stage, St. Petersburg

LA DIVINA COMMEDIA

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Aktuell - 31.10.2014 - Seite 8

31. 10. 2014, 12:04 | by DEREVO
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DEREVO - AKTUELL - 31.10.2014

Ich habe eine Woche in St. Petersburg verbracht.
Ein Rekord an Begegnungen und Gesprächen.
Alle Begegnungen betrafen die Organisation der Arbeit von DEREVO in St. Petersburg.
Ich war keine einzige Minute allein.
Es gab Treffen mit dem Kulturausschuss, mit Theatern, Regisseuren, Beamten, Studenten…

Zwei Tage habe ich mich ausgeruht, und jetzt versuche ich, mir über meine Empfindungen klar zu werden.

  1. Das war in irgendeiner anderen Welt. Mit dieser Welt hatte DEREVO nie etwas zu tun.
  2. Ich war während dieser Tage ständig in Gefahr
    • In der Gefahr, unabhängig zu erscheinen.
    • Der Gefahr, mich auf Kompromisse einzulassen.
    • Der Gefahr missverstanden zu werden. Der Gefahr, zu viel zu scherzen. Der Gefahr, das Privatleben einzusaugen, das aus jedem Gesprächspartner förmlich herausquillt.
    • Der Gefahr, beim Anblick der ganzen Aussichtslosigkeit der Pläne dieser Menschen herzkrank zu werden.
  3. Wenn man von Millionen beunruhigter Menschen umgeben ist, wird man selbst unruhig. Der Schlaf verließ mich. Whisky und Musik.
  4. Der Wunsch Staub zu saugen und die Schuhe zu putzen.
  5. Ausbrüche von Ärger auf Verkäufer und Taxifahrer, das kannte ich vorher nicht.

Ich habe mich weit aus dem Schützengraben gelehnt. Ich kann angeschossen werden.

Am letzten Tag kamen zwei Studentinnen, um sich zu verabschieden und sich für die Meisterklasse zu bedanken. Sie fragten, ob sie rauchen dürften.
Ich hatte nichts dagegen. Sie rauchten einen Joint und der Geruch zog aus dem Gedächtnis jenen fernen Morgen hervor, als ich im Kosmos erwachte. Es war 4 Uhr morgens, und durchs Fenster strömte von außen her ein Laut, der weder zu Leningrad, noch zur UdSSR, noch zu unserem morgendlich feuchten Hof gehörte… Ich erinnerte mich, wie ich zum Fenster ging und ganze 40 Minuten lang auf dem Fensterbrett sitzen blieb…

Es stellte sich heraus, dass mir der Richter meine 17 Jahre nicht angerechnet hatte. Ich fing von vorn an.

Und ich tat dasselbe!

Ich stellte einen uralten Combo-Verstärker ins Fenster und ließ „Wish you were here“ laufen…
Doch da geschah etwas Seltsames. Uns überkam sofort die Angst.
Ich drehte die Lautstärke zurück, doch die Angst blieb.
Ich machte alles aus, und ich musste das Fenster schließen, um mich zu beruhigen.
Ich zeigte den Mädchen ein Buch, das ich an jenem Abend gekauft hatte.
Ich hatte drei Jahre danach gesucht und hatte es gekauft!
Die erste kleine Auflage seines Buchs „Der Stein“ von 1913 hat Mandelstam auf eigene Rechnung herausgegeben.
300 kleine Büchlein, die meine Welt auf den Kopf gestellt hatten, und nicht nur meine… Wir lasen die Verse, und Pink Floyd löste sich ab und flog nach Hause…

Seite 8 sang ich ihnen vor.
Das ist alles.

Dann ein Taxi und das gewohnte „Könnten Sie das Radio ausmachen?“

 

 

Text: Anton Adassinsky
Übersetzung: Rainer Jäckel

Video:

Gedicht von Ossip Mandelstam
Musik komponiert und interpretiert von Roman Dubinnikov
Fotos verschiedener Autoren aus dem Archiv von DEREVO